Tage voller Staunen
Elefanten und Giraffen, Rosenfarmen und Teeplantagen, Massai-Dörfer und Shoppingmalls: Der IFAJ-Kongress 2025 in der kenianischen Hauptstadt Nairobi bot Tage voller Staunen über grandiose Naturlandschaften, innovative Farmerinnen und Farmer und fremde Lebenswelten. Rund 170 Agrarjournalisten aus mehr als 30 Ländern waren der Einladung nach Ostafrika gefolgt. Darunter auch acht reiselustige Delegierte aus Deutschland.
Es war eine Premiere in der 70-jährigen Geschichte der International Federation of Agricultural Journalists (IFAJ): Zum ersten Mal fand der Jahreskongress in einem ostafrikanischen Land statt. Entsprechend stolz und aufgeregt präsentierten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nicht-Regierungs-Organisation MESHA (Media for Enviroment, Science, Health und Agriculture) mit ihren Kongressdirektor Aghan Daniel den Gästen aus aller Welt ihr Kongressprogramm. Unter dem Motto „Unlocking the Agricultural Potential in the Cradle of Mankind“ (Erschließen des landwirtschaftlichen Potenzials in der Wiege der Menschheit) sollten die Stärken und Schwächen der kenianischen Landwirtschaft sowie deren Umgang mit Klimawandel, Flächenkonkurrenz, Bevölkerungswachstum und Welthandel gezeigt und diskutiert werden.
Sehr bewusst war der Tagungsort in der Wirtschaftsmetropole mit 4,4 Millionen Einwohnern gewählt. Denn wie Aghan Daniel betonte, sei Nairobi eine der wenigen Hauptstädte weltweit, in denen man innerhalb von hundert Kilometern Milchviehbetriebe, Gewächshäuser, Blumenfelder oder Naturschutzgebiete besuchen kann. „Wir wollen, dass unsere Gäste staubige Schuhe und einen vollen Block mit Landwirtsgeschichten bekommen“, so der Chef der Organisationsteams. Nach den Sitzungen der IFAJ-Gremien und einem vollgepackten Vortragstag standen darum auch zwei Exkursionstage mit insgesamt 13 Touren zu Kaffee- und Teeplantagen, Milchvieh-, Geflügel- oder Insektenfarmen, zu Forschungsinstituten, Samenbanken und Projektbetrieben für Regenerative Landwirtschaft an.
Der Agrarsektor in Kenia: ein kurzer Überblick
Kenia ist nach Äthiopien die zweitstärkste Volkswirtschaft im östlichen Afrika, das Bruttoinlandsprodukt betrug 2024 rund 116 Milliarden US-Dollar. Das jährliche Wirtschaftswachstum liegt um die fünf Prozent. Dennoch gilt ein Drittel der Bevölkerung von 47,9 Millionen (Zensus 2019) nach Weltbankkriterien als „extrem arm“. Die Landwirtschaft ist nach dem Dienstleistungssektor der wichtigste Wirtschaftszweig. Der Agrarsektor trägt ein Drittel zum Bruttoinlandsprodukt bei und beschäftigt fast zwei Drittel der Arbeitnehmer. Schnittblumen, Kaffee, Tee sowie Früchte und Gemüse sind wichtige Exportgüter. Auch für kenianisches Rind-, Lamm- und Ziegenfleisch gibt es attraktive Exportmärkte. Die wichtigsten Nutzpflanzen für den heimischen Verbrauch sind Mais und Weizen.
Der Anbau und die Viehhaltung finden aber hauptsächlich auf kleinteiligen Flächen von durchschnittlich 0,2 bis 3 Hektar statt, ein Großteil davon zur Selbstversorgung. 70 Prozent der in der Landwirtschaft Tätigen sind Kleinbauern. Großer Nachholbedarf besteht bei der Mechanisierung.
Die klimatischen Voraussetzungen sind in Kenia grundsätzlich gut. Der Äquator durchquert das Land annähernd mittig, wodurch Sonnenstand und Tageslänge relativ konstant bleiben. Die Äquatornähe sorgt für warme Temperaturen, während im Hochland kühlere Bedingungen herrschen. Die Monsunwinde bestimmen die Niederschlagsverteilung. Infolge des Klimawandels ist in den vergangenen Jahren eine Verschiebung der Regenzeiten zu beobachten. Die Folge sind größere Schwankungen bei den Ernten mit regionalen Hungersnöten.
Letztendlich eignen sich aber nur 20 Prozent der Landfläche Kenias (581.309 Quadratkilometer, etwa 1,5mal größer als Deutschland) aufgrund der Bodenfruchtbarkeit und der Wasserversorgung für die landwirtschaftliche Nutzung. Rapides Bevölkerungswachstum und die Folgen des Klimawandels verschärfen den Druck auf die Fläche.
Nicht immer wandeln Agrarjournalistinnen und Agrarjournalisten auf festgelegten Pfaden. Das belegt auch ein Beitrag (samt Kurzvideo), der auf der Internetseite des österreichischen Verbandes VAO veröffentlicht ist.
Rosen aus Naivasha
Ohne die Rosenfarmen Kenias blieben die Blumenläden Europas leer. Das ostafrikanische Land gilt als der weltweit drittgrößte Exporteur von Schnittblumen. Zwei Drittel aller in Deutschland verkauften Rosen werden hier angebaut. Für die Königin der Blumen ist das gleichmäßig warme Klima mit vielen Sonnenstunden und Niederschlägen verteilt über das ganze Jahr hinweg ideal.
Zentrum des Blumenanbaus ist der Naivashasee im Rift Valley, 90 Kilometer nordwestlich von Nairobi. Dort werden auf 1.900 Hektar rund 70 Prozent der kenianischen Blumen produziert. Nicht ohne Folgen: Umweltschützer machen den Rosenanbau für einen zurückgehenden Grundwasserspiegel und die Verschmutzung des Naivashasees verantwortlich.
Vor allem rund um den Valentinstag und zum Muttertag werden diese Vorwürfe in deutschen und österreichischen Medien gerne thematisiert, sagt Peter Szapary zu den Agrarjournalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die seiner Rosenfarm am Naivashasee im Rahmen einer selbstorganisierten Tour einen Besuch abstatteten. Sie entsprächen aber nicht mehr den Tatsachen. Denn die Bedingungen seien vom Markt reguliert. Ohne Zertifikate für fairen Handel, für soziale Belange und nachhaltigen Ressourceneinsatz könnte er und alle anderen Produzenten keine Blumen nach Europa exportieren, erklärt Szapary. Auf einem landwirtschaftlichen Betrieb im Waldviertel in Österreich aufgewachsen ist es für ihn außerdem selbstverständlich, Wasser und Dünger zu recyceln sowie in geschlossenen Kreisläufen zu wirtschaften.
Mit einem Ausstoß von 38 Millionen Rosen im Jahr, produziert auf 19 Hektar in Foliengewächshäusern, gehört Szaparys Betrieb Wildfire Flowers zu den kleineren Farmen am See. Der ehemalige Unternehmensberater hat den Betrieb 1999 gegründet und nach und nach ausgebaut, nachdem er sich während einer beruflichen Auszeit in Kenia, seine Menschen und seine Landschaften verliebt hatte. Heute hat sein Unternehmen 680 Mitarbeiter, die an sechs Tagen die Woche Rosen, Johanniskraut und Schleierkraut schneiden, sortieren und für den Versand per Flugzeug verpacken. Fünf Tage später warten die Blumen dann bei Rewe oder Kaufland auf Käufer.
Schwarztee aus Limuru
Selbst Hand anlegen konnten die deutschsprachigen Delegierten beim zweiten Stopp ihrer Farmtour, und zwar als Hilfspflücker auf der Teagoni-Teefarm in Limuru nördlich von Nairobi, der ältesten und historisch bedeutendsten Teeanbauregion Kenias. Kein leichter Job, denn im Sammelkorb auf dem Rücken dürfen nur die obersten zwei Blätter des Triebes sowie eine Blattknospe landen, um den Qualitätsanforderungen der abnehmenden Teefabrik zu genügen. Die Farmarbeiter schaffen es, am Tag etwa 16 bis 24 Kilogramm frische Teeblätter zu pflücken.
Die ersten Teesamen wurden 1903 von Indien nach Kenia gebracht. Ab Mitte des 20. Jahrhundert nahm der Teeanbau einen rasanten Anstieg. Heute ist Kenia ist weltweit der drittgrößte Teeproduzent und der größte Exporteuer, noch vor China, dem Tee-Ursprungsland und mit Abstand größten Produzenten. Ein großer Teil wird auf die arabische Halbinsel exportiert. Produziert wird in erster Linie Schwarztee, der mit der CTC-Methode verarbeitet wird. CTC steht für die englische Bezeichnung der drei wesentlichen Verarbeitungsschritte: Crushing (zerbrechen), Tearing (zerreißen), Curling (rollen).
Auf der Teagoni-Teefarm beeindruckten neben der sanft gewellten Landschaft auf 2300 Meter Höhe vor allem die Power dreier Schwestern, die das Lebenswerk ihrer 86-jährigen Großmutter erhalten und fortführen wollen, obwohl sie beruflich zunächst andere Wege gegangen sind. Gemeinsam bieten sie Farmführungen, Verkostungen und Picknickveranstaltungen als Einkommensergänzung der 19 Hektar umfassenden Teepflanzungen an. Im Vergleich gehört Familie Kamau jedoch eher zu den größeren Teefarmern. Mehr als die Hälfte des in Kenia produzierten Tees wird von Kleinbauern erzeugt, die deutlich weniger als ein Hektar bewirtschaften. Viele der größten Teeplantagen hingegen sind im Besitz internationaler Großkonzerne wie Unilever, Lipton oder Starbucks. Direkt und indirekt sind etwa zehn Prozent der kenianischen Bevölkerung von der Teeindustrie abhängig.