Sibylle Schmidt, (FK)

"Jeden zweiten Atemzug verdanken wir dem Meer"

"Das Meer speichert Wärme, CO2 und gäbe es die Ozeane nicht, wann wäre es schon 3,6 °C wärmer auf der Erde?", fragte Ilka Thomsen, Wissenschaftsredakteurin am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. Das Forschungsinstitut GEOMAR in Kiel öffnete seine Türen für die Teilnehmer der Exkursion "Meer 1a" der VDAJ-Bundestagung am 29. August und gewährte ihnen einen Einblick in die Welt der Ozeane, ihrer Bedeutung für das globale Klima und der Bedrohung durch den Klimawandel.

Aufgabe des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung mit seinen 166 verschiedenen Laboren und 500 Wissenschaftlern ist es, die Ozeane und ihre Funktionen im Labor zu rekonstruieren und damit ein Licht in die Zukunft zu werfen. "90 Prozent der Organismen im Meer sind noch nicht beschrieben, und ihre Funktionen sind unbekannt. Umso wichtiger ist die Forschung, um sie zu verstehen. Dabei reicht die Bandbreite von den tektonischen Platten bis hin zu den Küsten. Wir müssen die Ozeane verstehen, um sie schützen zu können. Denn wir dürfen nicht vergessen, jeden zweiten Atemzug verdanken wir dem Meer", sagte Thomsen mit Blick auf das Phytoplankton im Meer, das etwa die Hälfte des gesamten atmosphärischen Sauerstoffs produziert. 

Ilka Thomsen, Wissenschaftsredakteurin am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, nahm sich viel Zeit, um über die Arbeit des Zentrums zu informieren.
Foto: Friederike Krick

Hohes Bedrohungspotenzial

Die Bedrohungen der Meere durch den Menschen sind vielfältig. Dazu gehören die teils problematische Nutzung des Meeresbodens als Rohstofflieferant, die Verschmutzung durch Plastik, Einträge von Düngemitteln durch die Landwirtschaft sowie die in der Ostsee liegenden Altlasten durch im Wasser verrottende Munition. 

Eine der wesentlichen Aufgaben des Institutes ist es, Daten zu sammeln und daraus sogenannte "Digital Twins" zu erstellen. "Indem wir einen derartigen Zwilling nachbilden, können wir an verschiedenen Stellschrauben drehen und daraus Erkenntnisse gewinnen, die wir dann auf größere Dimensionen übertragen können", erklärte die Wissenschaftsredakteurin. Weltweit werden Daten mittels der eigenen Forschungsschiffe und Tauchroboter gesammelt, dabei ist Geomar vielfach Teil von internationalen Exkursionen. Der Tauchroboter Jago ist 2021 außer Betrieb gegangen und konnte bis zu 400 m tief tauchen. Aktuelle Geomar-Tauchroboter erforschen in bis zu 6.000 m den Meeresboden. 

Eine etwas andere Bibliothek

Im Zentralen Probenlager des Instituts lagert eine "Bibliothek" von vielen tausend Bohrkernen, die aus Ost- und Nordsee, Schwarzem Meer, Beringsee, Karibik sowie arktischen und antarktischen Seegebieten stammen. Die Sedimentkerne werden bei konstant 4 °C gelagert. Ein Teil der Proben verbleibt als Referenz im Probenlager, während der andere Teil analysiert wird.

Eines der konkreten Forschungsprojekte von Geomar befasst sich mit der CO2- Entnahme aus der Luft und der Speicherung unter dem Meer, um dem Klimawandel zu begegnen. Dabei bieten sich Geomar zufolge sogenannte Flutbasalte besonders an. Sie können CO2 aufnehmen und verfestigen sich dann zu Stein, was die Speicherung von CO2 sicher macht. In Island werden bereits vielversprechende Versuche dazu gemacht.

Das Leben im Meer

Geomar betreibt auch Fischereiforschung und ist dabei einem Phänomen auf die Spur gekommen, das die Wissenschaftler überrascht und international für Aufsehen gesorgt hat. So hat die Überfischung des Dorsches durch den Menschen bei diesem Fisch zu einer beschleunigten Evolution geführt. "Der Mensch hat mit dem Fischfang sozusagen den Dorsch kleingezüchtet", erläuterte die Wissenschaftsredakteurin. Es seien immer vorzugsweise große Dorsche gefangen worden, was den kleineren Dorschen einen Vorteil beschert habe. Es konnte im Genom des Fisches nun nachgewiesen werden, dass sich der für das schnelle Wachstum verantwortliche Abschnitt verändert hat und die Dorsche nun kleiner bleiben. "Wir sehen hier Evolution in wenigen Jahrzehnten statt Jahrmillionen." 

Algen – ein vielseitig nutzbarer Rohstoff der Zukunft

Der dritte Stopp der Exkursion Meer führte die Teilnehmer der VDAJ-Bundestagung an die Kieler Förde zur Algenfarm oceanBASIS. "Unsere Vision ist es, der weltweit führende 'Schatzheber' von Wirkstoffen aus dem Meer zu sein“, sagte oceanBASIS-Geschäftsführerin und Biologin Inez Linke. Das Unternehmen wolle dabei die Wirkstoffe aus dem Meer nachhaltig für den Menschen nutzbar machen, ohne den Lebensraum Meer zu schädigen. Die Nähe zwischen Mensch und Meer sei auch wissenschaftlich zu belegen, denn die Mineralstoffzusammensetzung zwischen Meerwasser und dem menschlichen Blutserums ist nahezu identisch.

oceanBASIS-Geschäftsführerin und Biologin Inez Linke überraschte mit Informationen über die vielseitigen Nutzungsmöglichkeiten von Algen.
Foto: Friederike Krick

Algen für den Gaumen und die Haut

Seit 2001 erforscht das Unternehmen zu diesem Zweck marine Wirkstoffe und vertreibt die Naturkosmetiklinie 'Oceanwell' sowie die Nahrungsergänzungsmittel 'Meeresgarten'. "Die Anwendungsmöglichkeiten von Produkten aus dem Meer sind in der Heilmittelbranche bereits vielfältig", erklärte Linke und verwies auf Fango-Packungen, Heilkreide, Meeresalgen und auch Meerwasser selbst. "Dabei sind Algen die Regenwälder des Meeres und sind ebenso zu schützen." 

Weltweit werden rund zehn Millionen Tonnen Algen geerntet. Neben der Verwendung in der Kosmetik- und Heilmittelindustrie nimmt auch die Lebensmittelindustrie Algen ab und erzeugt daraus beispielsweise Agar Agar, das als Ersatzprodukt für tierische Gelatine Anwendung findet. Auch die Farbenindustrie interessiere sich zunehmend für Algen, sagte Linke.

OceanBASIS baut seine Algen unter anderem in der Kieler Förde an – dort befindet sich ihre erste offshore Algenfarm, die als deutschlandweit erste zertifizierte Meeresalgen-Farm gilt. Allerdings reicht die Ostsee zu Algenproduktion nicht aus, sodass die großen Anbauflächen an der norwegischen Küste liegen. "Die norwegische Regierung hat durchgesetzt, dass Unternehmen, die dort Fischfarmen gründen wollen, als Ausgleich auch Algenfarmen aufbauen müssen. Das wird als eine Art Kompensation gesehen", sagte Linke. Daneben bezieht OceanBASIS zusätzliche nachhaltig produzierte Algen aus der Bretagne, um auch die Bedürfnisse ihrer Lebensmittelmarke Meeresgarten abzudecken.

In der Kieler Förde wird die Braunalge Saccharina latissima (Zuckertang) auf langen Leinen in etwa ein bis zwei Metern Tiefe kultiviert. Die Setzlinge des Zuckertangs werden im Labor vorgezogen - meist im Winter, bei nährstoffreichem Wasser - und im Juni geerntet. Binnen eines Jahres wächst die Alge zwischen 30 und 50 cm. 

Die Zukunft der Nutzbarkeit von Algen sieht das Unternehmen positiv. "Egal welche Forschung wir angeschoben haben, die Algen haben unsere Erwartungen immer übertroffen. Wir wissen noch längst nicht alles über die Superkräfte der Algen", sagte Co-Geschäftsführer Levent Piker. "Positiv ist, dass trotz der Belastung der Meere mit Plastik in den Algen bisher noch kein Mikroplastik nachzuweisen ist. Dafür ist das Mikroplastik noch zu groß, um von den Pflanzen aufgenommen zu werden, aber das ist wohl nur eine Frage der Zeit."

Zusatzinfo

Kiel ohne den Kanal wäre nicht Kiel

Der Nord-Ostsee-Kanal, ehemals Kaiser-Wilhelm-Kanal, verbindet die Ostsee mit der Nordsee. Er durchquert auf seiner Länge von 98 km das Land Schleswig-Holstein zwischen Brunsbüttel und Kiel-Holtenau. Pro Jahr passieren knapp 30.000 Schiffe den Kanal. Der Kanal ist damit die meistbefahrene künstliche Schifffahrtstraße der Welt und Pulsader für Wirtschaft und Handel. In Kiel müssen die Schiffe wegen der Gezeiten eine der zwei Doppelschleusen in Holtenau passieren. Da der Kanal zusammenhängende Infrastrukturen „zerschneidet, gehören auch Brücken seit jeher zum Landschaftsbild. Fähren von der eine zur anderen Seite sind kostenfrei. 

(FK) 

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