35 Jahre Deutsche Einheit – VDAJ Mitglieder erinnern sich
Mit Hans-Otto Lange und Johannes Freckmann gaben zwei Mitglieder der VDAJ Landesgruppe Berlin/Brandenburg/Thüringen/Sachsen offenherzig und tiefgehend Einblicke in ihre Lebensgeschichte rund um die Deutsche Einheit vor 35 Jahren.
Sie schlossen mit ihren persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen das diesjährige Schwerpunktthema der Landesgruppe zur 35. Wiederkehr der Einheit ab. Vom aktuellen Veranstaltungsort blickten die Teilnehmer dank des Deutschen Raiffeisenverbandes direkt auf das geschichts- und symbolträchtige Brandenburger Tor. Für beide Mitglieder bedeutete es seit dem 7. Oktober 1990 das Ende des militärisch bewachten Staatsgebietes der DDR.
Hans-Otto Lange wurde 1942 mitten im Krieg in der Hansestadt Wismar an der Ostsee geboren. Er wuchs in einem evangelisch geprägten Elternhaus auf. An die zerbombte Stadt, den Hunger, die Stromsperren kann er sich noch erinnern. Auch an das Ährensammeln seiner Familie auf den abgeernteten Feldern, sein erster Kontakt mit der Landwirtschaft. Nach Abitur und Lehre in der Stadtgärtnerei Wismar – entgegen seiner „Leidenschaft für den Operngesang“ - übernahm er in der Gärtnerei die Redaktion der Betriebspresse. Er spürte schnell, dass die sozialistische Freundschaft da endete, wo man kritisch oder „antisozialistisch“ über die Verhältnisse in der DDR diskutierte. Als er eine Sommerzeitung mit Fotos von den Beatles und der französischen Stadt Marseille gestaltete, wurde er wegen seines „antisozialistischen Verhaltens“ strafversetzt.
Zu wenig sozialistisch
In Ost-Berlin studierte Hans-Otto Gartenbau. Wenige Wochen nach Beginn des Studiums an der Humboldt Universität wurde er zu einem Gespräch bei der Studienleitung aufgefordert. Dabei erfuhr er, dass der Parteivorsitzende der Stadtgärtnerei Wismar die Universität bat, ihn vom Studium wegen seines nicht sozialistischen Verhaltens auszuschließen. Hans-Otto durfte aber weiter studieren. Längst waren in Ost-Berlin die Beatles im Rundfunk zu hören. Und ein Foto einer französischen Stadt war den Universitätsbehörden kein schlimmer antisozialistischer Vorgang.
Sehnsucht führte ihn in die Pfalz
Den Blick über die Grenze verkniff er sich aber weiter nicht, vielmehr suchte er Kontakte über Brieffreundschaft „im Westen“. Nicht ohne Erfolg, denn mit einer „Pfälzerin“ begann ein längerer, intensiver brieflicher Austausch mit ungeahnten Folgen. Ein persönliches Treffen in Ost-Berlin vertiefte den Kontakt. Es wurde Liebe, die später zu einer Flucht aus der DDR über Sofia in Bulgarien, der Türkei in die Bundesrepublik führte. Ein Freund hatte mit seinem BRD-Ausweis das Gelingen des höchst gefährlichen, riskanten Vorhabens der beiden ermöglicht. Die Voraussetzung für ihre Ehe „bis auf den heutigen Tag“ war geschaffen.
Nach dem Mauerfall klärte der Einblick in seine Akte auf, dass die Stasi den jungen Hans-Otto nicht nur in Wismar und Ost-Berlin vernommen, sondern auch in der Pfalz und West-Berlin beobachtet hatte. „Republikflüchtige“ waren halt Staatsfeinde – vermutlich mit Helfern, deren man in der DDR habhaft werden wollte. Aber auch die Kirche in der westlichen, katholischen Pfalz stellte Forderungen. Die Kinder des Paares sollten katholisch getauft und erzogen werden. Konsequent ihrem Lebenslauf entsprechend traten beide aus der Kirche aus und zogen ins weltoffene West-Berlin um.
Die Arbeitgeber wechselten
In Berlin erlebte Hans-Otto hautnah einen spannenden, internationalen Teil der Entwicklung der deutschen Pflanzenschutzindustrie. Von 1969 bis zu seiner Rente arbeitete er immer in der Öffentlichkeitsarbeit. Zuerst in der Pflanzenschutzsparte der Schering AG, ab 1994 beim Unternehmen AgrEvo, in das die Pharmaunternehmen Schering und Hoechst ihre Pflanzenschutzsparten einbrachten. Mit neun Prozent Marktanteil war das Unternehmen plötzlich viertgrößter Hersteller von Pflanzenschutzmitteln weltweit. Die Unternehmenszentrale war in Berlin, die Forschung im Industriepark Hoechst in Frankfurt am Main. Den nächsten Arbeitgeber ohne Arbeitsplatzwechsel erlebte Hans-Otto 1999 als sich Hoechst und Rhône-Poulence zum neuen Unternehmen Aventis Crop Science vereinten und AgrEvo mit der Agro-Sparte des französischen Unternehmens zusammengeschlossen wurde. Als 2002 Aventis, an der Schering noch mit 24 Prozent beteiligt war, an Bayer verkauft wurde und die Pflanzenschutzaktivitäten als Bayer Crop Science firmierten, wurde Hans-Otto deren Pressesprecher. Am Ende seiner beruflichen Karriere war er verantwortlich für die Mitarbeiterzeitung von Bayer Crop Science für die deutschen Mitarbeiter.
Dem VDAJ verbunden
In all den Jahren hat Hans-Otto Lange auch mit dem jährlichen Schering-Abend nach der Eröffnung der IGW ein großes Netzwerk im VDAJ entwickelt. Der Abend war, über den Jahresbeginn hinaus, Höhepunkt des agrarkommunikativen Diskurses, der verbandlichen Kollegialität und vor allem eine Kontaktplattform besonders für junge Mitglieder. 2006 löste sich die Schering AG als börsennotiertes Pharmaunternehmen mit rund 25.000 Mitarbeiter auf, so dass heute nur das Bayer-Kreuz am ehemaligen Schering-Stammsitz in Berlin-Wedding leuchtet.
Förstersohn mit der Ader zum Schreiben
Den ideologischen Kampf zwischen Kirche und Staat in der DDR erlebte auch Johannes Freckmann hautnah. Er wurde 1948 im landwirtschaftlich geprägten Kreis Havelsberg, heute Sachsen-Anhalt, als zweites von drei Kindern in einem einsam gelegenen Forsthaus geboren. Sein Vater war Förster, seine Mutter in der evangelischen Kirche engagiert. Johannes wuchs nicht nur in und mit der Natur auf, sondern wurde auch konfirmiert, ein Minderheitenbekenntnis und kritisch von der Partei gesehen. Natürlich beeinflusste der Schulunterricht in Geschichte und Staatsbürgerkunde sein Weltbild, doch zahlreiche politisch geführte Diskussionen in kirchlichen Kreisen offenbarten Konflikte und Widersprüche.
Schon in jungen Jahren war sein Berufswunsch Journalist. In der Erweiterten Oberschule (Gymnasium) lief zu der Zeit ein Modellversuch: Abitur mit einer Facharbeiterausbildung. Im ländlich geprägten Kreis Havelsberg wählte er den Facharbeiter Gartenbau. Sein Klassenlehrer bestärkte ihn, das Journalistikstudium nicht aus dem Auge zu verlieren. So legte er eine Eignungsprüfung bei der Volkstimme Magdeburg ab, um dann zentral ein Volontariat in Berlin-Adlershof beim DDR-Fernsehen mit anschließender Delegierung zum Studium zu absolvieren. Landwirtschaft als einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der DDR hatte im DDR-Fernsehen eine eigene Hauptabteilung mit vielen Redakteuren und großem Technikbereich, deren Leiter gleichzeitig 1. Stellvertreter des Intendanten war.
Kritische Kommentare waren unerwünscht
Der Volontärausbildung mit Unterbrechung durch einen Einsatz in der Armee schloss sich das Journalistikstudium an der Karl-Marx-Universität in Leipzig an. An der Sektion Journalistik, das als „Rotes Kloster“ verschrien war, waren Marxismus-Leninismus prägende inhaltliche Bausteine, erinnert sich Johannes. Im Elternhaus waren sowohl West- wie Ostfernsehen gleichermaßen Informationenquellen. Die unterschiedlichen Aussagen für dieselben politischen und wirtschaftlichen Vorgänge wurden in der Familie offen diskutiert. Dennoch führten Schule und Studium dazu, dass Johannes vom Sozialismus – „wenn er richtig umgesetzt wird“ – überzeugt war. Das Schreiben kritischer Kommentare zum sozialistischen Alltag „gehörte leider nicht zum Rüstzeug der Journalistik-Ausbildung. Nur in der Auseinandersetzung mit dem Klassenfeind getreu dem Tenor der Politreihe ‚Der Schwarzer Kanal‘ konnten wir uns austoben“.
Das Thema Landwirtschaft lockte
Den ersten Job für mindestens drei Jahre nach erfolgreichem Studium bestimmte die „Agitationskommission“ in Berlin. Johannes wurde der Zeitung für die Industriezweige Druckereien und Verlage der DDR zugewiesen. Ein Job mit großem Netzwerk, einschließlich zu den Verlagsdirektoren, und mit der redaktionellen Zuständigkeit für Nachwuchsförderung, Lehrlingsausbildung, Produktion, Papierverbrauch. Seine nach wie vor große Affinität zur Landwirtschaft veranlasste ihn aber, seine „Fühler zum DDR-Landwirtschaftsministerium auszustrecken“.
Diese Eigeninitiative war ungewöhnlich, da solche Kontakte eigentlich der Parteiebene vorbehalten waren. Aber erfolgreich: Da der Leiter der Pressestelle einen längeren Kuraufenthalt im Kaukasus verbrachte wurde Johannes als Vertretung „im Alter von noch nicht einmal 40 Jahren“ eingestellt und „ins kalte Wasser geworfen“.
Daraus entwickelte sich bis 1993 ein festes Arbeitsverhältnis als Pressesprecher mit besten Kontakten zu den akkreditierten Korrespondenten. Bei seinem exponierten Job stellts sich natürlich auch die Frage nach der Stasi. "Wegen einer wie auch immer gearteten Mitarbeit hat mich die Stasi nie direkt angesprochen. Als ich kurzfristig für die Stelle eines Protokollchefs für einen DDR-Landwirtschaftsminister im Gespräch war, muss die Stasi aber aufgrund vorhandener Westverwandtschaft ihr Veto eingelegt haben." Bei allen diffizilen, politisch heiklen journalistischen Vorhaben für einzelne Westkorrespondenten oder Exkursionsprojekten wie z.B. zu 40 Jahre Bodenreform arbeitete die Stasi über das Außenministerium oder das "Große Haus" (Zentralkomitee oder Politbüro) im Hintergrund direkt mit.
Pressesprecher in Umbruchszeiten
Spannend und besonders arbeitsintensiv war die Pressearbeit im DDR-Landwirtschaftsministerium unter Minister Hans Watzek, Deutsche Bauernpartei, während der friedlichen Revolution. Es war die Zeit der Allparteienkoalition von Hans Modrow (18. Nov.1989 bis 12. April 1990). In der ersten frei gewählten und gleichzeitig letzten DDR-Regierung unter DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière, die mit der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 endete, war Johannes Stellvertretender Pressesprecher bei Landwirtschaftsminister Peter Pollack, SPD-Mitglied und Schwiegervater von Markus Meckel, dem damaligen DDR-Außenminister und Gründer der ostdeutschen SPD. Bei den wöchentlichen Regierungspressekonferenzen traf Johannes regelmäßig die Stellvertretenden Regierungssprecherin Angela Merkel, die die Beantwortung landwirtschaftlicher Fragen stets „uns Ressortexperten“ überließ. Und Aufreger-Themen gab es genug in der Zeit der Wende mit einem bisher nie erlebten Zusammenbruch des Agrarmarktes.
Fiel dem Personalabbau zum Opfer
Nach der Wiedervereinigung wurde Johannes Mitarbeiter des Referats „Pressestelle und Sonderaufgaben“ der Berliner Außenstelle des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Ein Vierteljahr arbeitete er in Bonn mit dem langjährigen Ministeriumspressesprecher und VDAJ-Mitglied Erwin Reuss zusammen. Entsprechend dem Einigungsvertrag wurde der Personalbestand in den ostdeutschen Außenstellen der Ministerien in der Folgezeit durch mehrere Entlassungswellen stark verringert. Am Nikolaustag im Dezember 1993 traf es auch Johannes Freckmann. Vier von fünf Mitarbeiter:innen der BMEL-Pressestelle in Berlin erhielten ihre Entlassungspapiere von Bundesminister Jochen Borchert.
Da half auch kein Protestschreiben des VDAJ wie vom Ost-Vorsitzenden Günther Schattenberg. Zu dieser Zeit gab es auf dem deutschen Arbeitsmarkt nur wenige offene Stellen. Also versuchte Johannes sein Glück als freiberuflicher Agrarjournalist mit einem Einstieg bei pro agro, dem Verband für Agrarmarketing in Brandenburg. Später war er als Freiberufler beim führenden Unternehmen der Agrarmarktforschung Kleffmann in Lüdinghausen zuständig für Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.
Termine
Internationale CLAAS Presseveranstaltung auf der Agritechnica
Weitere Einzelheiten werden rechtzeitig bekanntgegeben.
Details zum Termin