Der andere Blick – Fotoseminar der Landesgruppe Baden-Württemberg

Menschen in Szene setzen, auch wenn es schwierig ist. Eine Fotografin zeigte der Landesgruppe Baden-Württemberg, wie sie das macht. Und siehe da: Möglich ist alles. Es gab viele Anregungen und Diskussionen. Plus Erkenntnisse. 

Wir alle kennen das: eine Fachtagung, irgendwo im hintersten Winkel des Landkreises. 100 Teilnehmer, eine finstere Stadthalle, hinter dem Podium lugen noch die Dekoreste der Weihnachtsfeier des Sportvereins hervor. Stift ausgepackt, Block dazu und Kamera schussbereit. Ein gutes Bild? Hier?

„Möglich“, sagt Angelika Kamlage. Die Fotografin aus Leonberg will den Kollegen der Landesgruppe Baden-Württemberg und ihren Gästen zeigen, wie man auch dort zu einem guten Foto kommt. Kamlage arbeitet hauptsächlich für die katholische Kirche und hat Kardinäle und Bischöfe reihenweise in Szene gesetzt. Wie die Tagungen ein wiederkehrendes Motiv, schwierig aufzunehmen, da heilige Handlungen auch heilig sind und die Kirchenobersten auf Fotos trotzdem gut aussehen wollen. Kamlages Ausgangsbedingungen sind anders als die der Kollegen, aber das Ziel ist dasselbe ­ – ein gutes Bild. Abschauen konnte man sich eine Menge, in Vorbereitung als auch in Technik.

Angelika Kamlage hörte genau zu: Die Arbeitsumstände sind unterschiedlich, das Ziel ist das selbe. Ein gutes Bild.Doch vor dem Weg steht das Ziel. Instinktiv erkennen wir ein gutes, mitreißendes Bild, es spricht uns an, löst etwas aus. „Was wollen Sie fühlen, wenn Sie das Bild anschauen?“, fragte Kamlage. Nun ist ein LBV-Kreisvorsitzender vielleicht nicht gerade Kardinal Marx, trotzdem hätten wir gerne Wow-Bilder von ihm. Wenn man einige Probleme löst, ist das möglich.

Problem 1: Wahl des Standorts

Häufigste Frage: Wie kann ich das in der journalistischen Praxis umsetzen?

Die guten Fotos kommen nicht von den Presseplätzen unterhalb der Bühne. Ohnehin sollte man Personen nicht von unten aufnehmen, der Kopf wirkt im Verhältnis zum Körper zu klein.

„Gute Beine“ seien da das Wichtigste für den Fotografen, unterstreicht die Referentin. Sie ist eine Stunde vor der jeweiligen Veranstaltung vor Ort, findet im Herumgehen, Schauen, Prüfen den besten Standpunkt. Dass wir Journalisten meist weniger Zeit haben, sollte von der Suche nicht abhalten. „Wenn Sie sich viel bewegen, sehen Sie viel“, sagt die Referentin.

Problem 2: Genervte Redner

Es lohne, sich bereits auf der Anfahrt Gedanken über das Bild und Motiv zu machen, erklärt Angelika Kamlage. Jede Person will gut aussehen. Die meisten Fotosubjekte sind aber unerfahren und vertrauen sich dem Fotografen an. Der muss dann wissen, was er will und führen. Kamlage verschafft sich vor jedem Termin einen ersten Eindruck von derZielperson, das geht heutzutage übers Internet sehr leicht. Nächste Regel: „Lieber wenige und gute Bilder und als Dauerserie“, mahnt die Referentin. Das schont nicht nur die Technik, es erspart auch stundenlanges Sortieren und berücksichtigt die

Gesten machen jedes Bild lebendiger, egal ob im Publikum oder auf dem Podium. Typische Gesten kehren wieder, man kriegt also eine weitere Chance.

Interessen der Fotografierten und Gäste. Wer eine halbe Stunde um den Referen-

ten herumspringt, wird höchstens genervte Gesichter ernten. Besser sei es, das Zielobjekt eine Weile zu beobachten und dann im richtigen Moment abzudrücken. Meist wiederholten sich typische Gesten und Ausdrücke. Diese Gewissheit sollte den Druck von den Kollegen nehmen, die schreiben und fotografieren müssen. Ein sehr gutes Bild reicht, man muss nicht jedem Motiv – und nicht jedem Zitat – nachjagen.

Problem 3: Zu nah dran

Die übergroße Nähe zum Referenten und zwei weitere Probleme lassen sich mit der Wahl des Objektivs lösen. Angelika Kamlage fotografiert alle Personen mit einem Teleobjektiv 200 mm und ohne Blitz. Ein Tele von mindestens 90 mm ist verpflichtend, sonst wirken die Gesichtszüge zu voluminös. Mit ihm geht der Hintergrund dann rasch ins Unscharfe und stört nicht mehr. Durch den schmalen Winkel blendet das Teleobjektiv zudem sehr viel Störendes aus, also zum Beispiel die herumliegende Festdeko. Das lässt sich mit einem lichtstarken Objektiv und guter Technik natürlich besser umsetzen, aber es funktioniert auch bei Standardausrüstung. Eventuell muss man dann doch den Blitz dazunehmen, nicht immer besteht die Gelegenheit, das Bild aufwendig nachzubearbeiten.

Problem 4: Alles stört

Trotzdem kann das Bild noch so „na ja“ sein. Irgendetwas stört am Wow-Effekt. Das kann mehrere Ursachen haben: Das menschliche Auge krallt sich gerne an etwas fest, instinktiv suchen wir nach dem, was uns der Fotograf sagen will. Ist nur ein Objekt auf dem Bild, ist das klar. Meist werden aber zwei Aspekte vermischt, der Redner vor dem Banner ist da ein typisches Beispiel. Ähnliches gilt für den Hintergrund, die unaufgeräumte Deko drängt sich doch ins Gedächtnis. „Keine Konkurrenz“, sei daher ein Grundsatz, so Angelika Kamlage. Das bedeutet nicht, dass das Objekt allein ist, sondern dass es klar als Hauptperson oder -sache erkennbar ist. Der zweite Grundsatz: Schärfe. Jeder Betrachter sucht instinktiv den Schärfepunkt. Die Scharfstellung erfolge immer auf die Augen, erklärt die Referentin. Das dritte, wenn auch bekannt: Goldener Schnitt und Linien. Sind sie im Bild, etwa durch Podium, Regale oder Straßenlaternen, müssen sie gerade sein.

Problem 5: Alles sieht gleich aus

Doch selbst bei perfekter Position, Komposition und guter Ausleuchtung bleibt ein Problem: Alle Bilder sehen gleich aus. Männer, die auf Mikros starren. Angelika Kamlage kennt das Problem nur zu genau: Ein Kardinal, ein Gottesdienst und 15 Bilder. Was dann? Sie fotografiert Details wie Ketten, Ohrringe, Gesten, Hände, Schuhe – alles, was ungewöhnlich ist, aber die Botschaft der Veranstaltung widerspiegelt. Und genau das war die Übung für die 14 Teilnehmer. Ein gutes Bild zu machen, das die Essenz des Fotoworkshops ausdrückt. In einem abgedunkelten Raum, teils mit Gegenlicht und vielen Menschen, vollgestellten Tischen – fast unter normalen Bedingungen also.

Die anschließende Diskussion über jedes einzelne Bild steigerte das fruchtbare Seminar noch. Jeder erkannte, wo Stärken und Schwächen lagen, und trotz Spontanität und schwieriger Bedingungen konnten sich die Resultate sehen lassen.

Natürlich braucht es nun auch den Mut der Redaktion, einen Beitrag ohne das übliche, erwartete und gewohnte Referentenbild abzudrucken, aber dafür muss ein anderes Foto erst einmal da sein. Für die Seminarteilnehmer dürfte das kein Problem sein. den anderen Blick haben sie jetzt.

Infos zur Referentin:

https://de-de.facebook.com/fotografie.kamlage/