Mühle der Superlative: Zu Besuch in der Schapfenmühle Ulm

Auf Deutschlands höchsten Getreidesilo: die LG Banden-Württemberg
Auf Deutschlands höchstem Getreidesilo: die Landesgruppe Baden-Württemberg
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Am Puls der Zeit: Die Schapfenmühle war Deutschlands erste voll computergesteuerte Mühle.
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116 Meter hoch und preisgekrönt: das Silo der Schapfenmühle.

In Ulm steht der höchste Kirchturm der Welt, das weiß fast jeder. Die wenigsten wissen, dass auch Deutschlands höchstes Getreidesilo dort steht. Die Landesgruppe Baden-Württemberg fand den Grund dafür und erkundete noch weitere Besonderheiten. 

Das Silo verstellt – ähnlich wie beim Ulmer Münster der Turm – den Blick auf das Wesentliche: Und zwar auf die Schapfenmühle, die im Schatten des silbrig-glänzenden Rundturms im Eiltempo aus Korn Mehl macht. Fast im Fünf-Minuten-Takt rollen die Laster, prall gefüllt mit Weizen, Gerste – und Dinkel.

„Wir sind Dinkel-Spezialist“, sagt Geschäftsführer Ralph Seibold und weiß für die Kollegen aus der Landesgruppe gleich noch eine Geschichte dazu. Als er in den 1990er-Jahren in Berlin ein Dinkelbrot kaufen wollte, sagte ihm die Verkäuferin: „Brot mit Konservierungsstoffen haben wir nicht.“ Heute weiß jeder, was Dinkel ist. Das Getreide ist in aller Munde, und die Schapfenmühle brachte die Welle mit ins Rollen. Heinz Künkele, der Seniorchef der Schapfenmühle, hatte Dinkel mit wiederentdeckt und Stück für Stück salonfähig gemacht. Die Bauern, die er damals zum Anbau ermunterte, liefern heute noch ihren Dinkel an die Schapfenmühle. Später setzte die Mühle auf Cerealien und Müsli und schuf sich so ein Standbein neben dem klassischen Bäckergeschäft. „Größe ist nicht entscheidend, wir wollen veredeln“, sagt Seibold. Ob Bio-Produkte, Naturkost, Backmischungen und gepufftes Getreide, die Lust auf Neues hat Tradition – und die reicht bei der Schapfenmühle weit zurück.

Mit Ersterwähnung 1452 ist sie sogar Ulms ältester, noch produzierender Betrieb. Ein Brand trieb Heinz Künkele aus der Stadt auf die Höhe in den Stadtteil Jungingen. 1984 öffnete die neue Schapfenmühle am heutigen Standort ihre Tore, sie ist die erste voll computergesteuerte Mühle der Bundesrepublik.

Am Grundvorgang hat sich nicht so viel geändert: Mahlen ist nach wie vor solides Handwerk, moderne Technik greift dem Müller aber nun helfend unter die Arme. Das weiß Georg Dinkel am besten. Der pensionierte Obermüller führte die Agrarjournalisten durch den Betrieb. Er war schon dabei, als die neue Mühle eröffnete wurde. Die funktioniert im Prinzip wie früher: Das Getreide fällt durch lange Rohre nach unten, Siebe und Gebläse holen Spreu, Steine und Fremdes aus dem Getreide. Magneten und Fotozellen haben heute ein Auge auf Metall und Steine – so kommt nur gutes Korn bei den Walzenstühlen an. Wie Sand in einer Sanduhr läuft das Getreide in endloser Reihe in diese rotlackierten Kästen hinein. Drinnen rattern die Walzen und wirbelt der Staub. Heraus kommt feinstes Mehl und Halbgemahlenes wie Schalen, Schrot, Gries. Der Plansichter trennt sie. Im Inneren dieses Kastens stecken Hunderte Siebe und zum Sieben bewegt sich der Schrank ständig hin und her. Bis er am Ende das feine Mehl ausgesiebt hat. Das fließt über ein Rohr zum Verpacken. Gries, Schrot und Kleie gehen einen anderen Weg. Was nicht als Spezialprodukt verwendet wird, läuft eine weitere Runde durch die Mühle. Das geht so lange, bis nur noch Mehl und Staub übrig sind.

Doch Mahlen heute ist anspruchsvoll, denn  Bäcker und Lebensmittelhersteller wollen möglichst gleiche Produkte für ihre Rezepte haben. Mehl aber ist nicht gleich Mehl. Im mühleneigenen Labor wird daher regelmäßig kontrolliert, gemessen und überwacht. Georg Dinkel öffnet einen so genannten Muffelofen und stellt ein Goldschälchen mit Mehl hinein. „Darauf testen wir den Mineralanteil“, erläutert er, während ihm acht Augenpaare folgen. Bei 900°C bleibt nur Asche zurück. Das Abwiegen erschließt die Mineralmenge. Alles passt, stellt der Meister zufrieden fest. Und hat danach gleich noch einen Grund zur Zufriedenheit: Vor dem Labor steht ein Korb mit Brot. Anerkennend schnuppert Obermüller und Mehlexperte Dinkel. Das Brot stammt aus der Versuchsbäckerei der Schapfenmühle. Sie kreiert und testet neue Mischungen und Produkte, Brot gehört natürlich dazu, aber auch Müsli, gepufftes Getreide und vieles mehr.

Technik, Lebensmittelkunde, Chemie: Das zeigt, wie anspruchsvoll der Beruf heute ist. Der Müller oder Verfahrenstechnologe in der Mühlen- und Futterwirtschaft muss gleichermaßen über Korn, Lebensmittel und Technik Bescheid wissen, und das nicht zu knapp. Gerade in der hoch technisierten Schapfenmühle zeigt sich der Wandel des Berufs überdeutlich. Die baute bereits 1998 an, also nicht einmal 15 Jahre nach der Eröffnung. Seitdem fließen die Warenströme über vier Etagen, das Hochregallager mit 3000 Palettenplätzen wird automatisch bestückt. So arbeiten die Müller mit drei Großrechnern, um den Betrieb mit seinen rund 220 Motoren zu steuern. Auch das riesige Silo steuert der Computer, damit die Mühle immer genügend zu mahlen hat. 29 Zellen mit Getreide füttern die unersättlichen Walzenstühle.

Als Georg Dinkel anfing, war das Silo noch kleiner. 2004 entschloss sich die Schapfenmühle zum Neubau des Siloturtms. Vorher wurde der Boden genau geprüft, denn der Koloss wiegt leer schon 8000 Tonnen und damit fast so viel der Eiffelturm. Der Betonzylinder trägt ein Kleid aus glänzenden Metallplatten und gilt als Musterbeispiel gelungener Industriearchitektur. Obwohl die Schapfenmühle sich damit ein unübersehbares Denkmal setzte, hatte die Dimension einen simplen Grund. „Hier gibt es keine Flächen, deshalb mussten wir in die Höhe bauen“, verrät Ralph Seibold. „Sonst hätte es auch die halbe Höhe getan.“ Wer oben steht, wie die Landesgruppe, sieht das aber anders. Denn mit etwas Glück kann man bis in die Alpen schauen. Ohne großen Aufwand, denn im Silo gibt es einen Fahrstuhl. 55 Sekunden braucht er bis zum einmaligen Blick – das schafft man im Ulmer Münster nicht so schnell. Dort gibt es nur Treppen.

Deutschlands höchstes Getreidesilo

Höhe: 116 Meter

Volumen: 10.000 Kubikmeter

Kapazität: 8000 Tonnen Getreide

Eigenmasse: 8000 Tonnen

Aufnahme: 120 Tonnen pro Stunde, Haferreinigung 7 Tonnen pro Stunde