Agrarjournalismus: Medialer Quark über Kühe

Viele Medienvertreter nehmen die Landwirtschaft durch eine von Ahnungslosigkeit und ideologischer Voreingenommenheit gefärbte Brille wahr. Die Agrarjournalistin Sabine Leopold klärt über Vorurteile und Falschbehauptungen in einer Folge der WDR-Sendung „Quarks & Co.“ auf.Regelmäßig arbeiten sich deutsche Medien am Thema Landwirtschaft ab. Die Bauern könnten sich freuen über so viel Aufmerksamkeit – wenn nicht in den meisten Berichten Informationen durch Ideologien ersetzt würden.

Die dem WDR unbekannte Kuh
Vielleicht hat Ranga Yogeshwar das Fass zum Überlaufen gebracht. Und vielleicht muss die deutsche Agrarwirtschaft ihm dafür sogar dankbar sein. Denn nach der Sendung Quarks & Co. – Die Kuh, das unbekannte Wesen [1], die der Physiker und Wissenschaftsjournalist Mitte Februar für den WDR moderierte, meldeten sich Landwirte und Agrarwissenschaftler deutlicher und engagierter als jemals zuvor in den sozialen Medien zu Wort. Sie diskutierten die kruden Aussagen der Sendung und widerlegten sie mit fundierten Argumenten: Nein, Landwirte verdienen sich keine goldene Nase, indem sie Kühe angebunden in engen Ställen halten. Für Neubauten ist diese Haltungsform in Deutschland ohnehin längst verboten. Nein, moderne Großställe sind nicht schlecht für Kühe; sie ermöglichen ihnen im Gegenteil ein viel artgerechteres Verhalten. Nein, Kühe fühlen sich nicht nur unter freiem Himmel wohl. Haben sie die Wahl, bevorzugen die meisten von ihnen einen luftigen Stall mit bequemen Liegeflächen. Und nein, Milchvieh wird nicht aus Profitgier statt mit Gras nur noch mit Kraftfutter vollgestopft. Das verbietet schon die Physiologie der Tiere. Wer so füttert, bringt seine Herde um. Jeder Landwirt weiß das. Herr Yogeshwar und sein Team wussten es nicht.

Dem WDR hat der Widerspruch aus Fachkreisen nicht gefallen. Der Moderator der Facebook-Seite kommentierte die nicht abreißende Flut der Gegenargumente mit Häme: „Wir haben natürlich bemerkt, dass hier ein paar Bauern, Freunde von Bauern, Freunde von Freunden von Bauern und Bauernfunktionäre einen kleinen ,Gülle‘-Storm veranstalten […] Offenbar haben wir einen wunden Punkt getroffen. […] [W]obei sich bei uns ein ganz klein wenig der Verdacht einschleicht, dass sich der eine oder die andere entdeckt fühlt.“ Anders ausgedrückt: Wer sich gegen falsche Unterstellungen und irreführende Behauptungen wehrt, wird schon Dreck am Stecken haben. Es folgte die Aufforderung, doch bitte jedes Gegenargument mit entsprechenden Quellen zu belegen; der simple Vorwurf der „schlechten Arbeit“ an die Adresse des WDR sei inakzeptabel und beleidigend.

„Tierschutzverbänden traute man einen unverstellten Blick zu.“
Ungewollt karikierte die Quarks-Redaktion damit die eigene Vorgehensweise – und die vieler ihrer Kollegen. Pauschalvorwürfe ersetzen belastbare Fakten. Die Berichterstattung über kontroverse Themen fußt immer häufiger auf „Recherchen“, die einzig und allein darauf zielen, die vorgefasste Meinung des jeweiligen Autors zu untermauern. Im Falle der Kuhsendung in Quarks & Co. hieß das zum Beispiel: Datensuche bei der Peta-nahen „Albert-Schweitzer-Stiftung“ und beim BUND. Das Angebot der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, beratend zur Seite zu stehen, wurde dagegen ignoriert. Die Kammer schien der Redaktion wohl für eine objektive Information zu nah am Fachbereich, also „Lobbying“ zu sein. Tierschutzverbänden hingegen traute man einen unverstellten Blick zu.

Das Fachblatt agrarmanager bat nach der Sendung den WDR um ein Interview mit dem verantwortlichen Redakteur. Sie wolle Quellen hinterfragen, Missverständnisse beilegen, zur Deeskalation beitragen, ließ die Zeitschrift den Kölner Sender wissen. Die Antwort: Man begrüße das Interesse, fühle sich aber außerstande, sich weiter in die Thematik zu vertiefen. Stattdessen solle der agrarmanager doch mit den Verantwortlichen für die kritisierten Zustände – den Bauern und ihren Berufsverbänden – reden: „Als Journalisten haben wir keine Mission, die Landwirtschaft zu kritisieren, und sind deshalb bei der sicher nötigen Diskussion nicht die passenden Protagonisten.“ Aha.

Landwirtschaft in den Medien
So absurd das alles klingen mag: Es zeigt einen Besorgnis erregenden Trend in der deutschen Medienlandschaft. Statt strittige Themen wie die Erzeugung (tierischer) Lebensmittel ergebnisoffen zu hinterfragen, werden Vorurteile bedient und mundgerecht verpackte Meinungen feilgeboten. Das garantiert Schlagzeilen, die sich gut verkaufen. Sachliche Beiträge, die die vielfältigen Aspekte eines Themas beleuchten, kosten dagegen Mühe und streuen Selbstzweifel. Und das ist nicht nur für Leser, Hörer und Zuschauer unbequem, sondern auch für Medienschaffende. Im Fall öffentlich-rechtlicher Sender, deren Zwangsfinanzierung auch mit ihrem Bildungsauftrag begründet wird, ist dies als Entschuldigung allerdings entschieden zu billig.

Wieso aber dominieren in deutschen Massenmedien, sobald es um Agrarfragen geht, Berichte über vegetarische oder vegane Lebensweise, eine Präferenz für technikfreie Landwirtschaftsstrukturen wie aus dem (vor)letzten Jahrhundert und ein Bild vom Landleben wie aus dem Groschenroman? Ein wesentlicher Grund ist sicher, dass in den Redaktionen Agrarexperten fehlen. Wenn es gut geht, werden Landwirtschaftsthemen den Ressorts Wirtschaft oder Wissenschaft zugeordnet. In den meisten Fällen landen sie jedoch bei Natur und Lifestyle. Über Themenauswahl, -gewichtung und Grundtenor entscheiden damit urban verwurzelte Redakteure, deren Hintergrund nicht selten ein Sozial- oder Kulturwissenschaftsstudium ist. Das disqualifiziert sie nicht zwangsläufig für die Berichterstattung über Agrarfragen. Einzelne Positivbeispiele belegen: Auch journalistische „Quereinsteiger“ können objektiv und fundiert zu Agrarthemen berichten. Und auch seriös aufgemachte Beiträge über Landwirtschaft in den Massenmedien finden, gut geschrieben, ein breites Publikum.

„Es dominieren die Parolenschmetterer und Besserwisser.“
Trotzdem dominieren in den Medien beim Disput um Landwirtschaftsfragen die Parolenschmetterer und Besserwisser. Der Inhalt vieler Berichte lässt unschwer darauf schließen, dass die Fundamentalisten unter den Landwirtschaftskritikern vor allem in Vegetarier- und viel mehr noch in Veganerkreisen anzutreffen sind. Und weil Medien überwiegend in Großstädten angesiedelt sind, könnte eine Studie der Friedrich-Schiller-Universität Jena soziale und demographische Hintergründe für diese Meinungshoheiten in den Redaktionsstuben liefern. [2] In den Großstädten sind hierzulande laut dieser Studie knapp die Hälfte aller Vegetarier anzutreffen.

Die starke Verbreitung des Vegetarismus im Großstadtbereich dürfte mit der urbanen Entfremdung von der Nahrungsmittelproduktion zu tun haben. Tiere aus wirtschaftlichen Gründen zu halten anstatt aus rein sozialen, ist für viele heute kaum noch vorstellbar und deshalb suspekt. In der Jenaer Studie gaben 60 Prozent der befragten Vegetarier „moralische Gründe“ für ihre Ernährungsweise an. Tierliebe in unserer Zeit vermenschlicht zunehmend ihre Objekte, tierische Grundbedürfnisse werden mit den menschlichen gleichgesetzt, einschließlich ethisch-philosophischer Begrifflichkeiten wie dem Streben nach Glück, Freiheit und Selbstverwirklichung. Diese Einstellung lässt sich natürlich nicht mehr mit einer Vorstellung von Tieren als Nahrungsmittellieferanten vereinbaren. Wer dennoch nicht komplett auf Fleisch, Milch und Eier verzichten möchte, verortet den Schuldigen an der Ausnutzung des „Mitgeschöpfes“ lieber weit weg vom eigenen Kühlschrank.

Das Ergebnis sind scheinbar wissenschaftlich fundierte Berichte wie die eingangs erwähnte Quarks & Co.-Sendung oder hochemotionale Manifeste wie die der Publizistin Hilal Sezgin. Der Bankenstadt Frankfurt müde, erwarb die „Tierethikerin“ Sezgin, Philosophin mit dem Schwerpunkt Moralphilosophie, vor wenigen Jahren einen kleinen Hof in der Lüneburger Heide. Sie hält dort Ziegen und Schafe als Rasenmäher und Kuscheltiere bis zu deren natürlichem Ableben. Darauf gründet sie ihren Kompetenzanspruch als Agrarexpertin und -kritikerin. Und das mit ziemlich großem Erfolg. Ihr Buch Artgerecht ist nur die Freiheit wird von Umwelt- und Tierrechtsorganisationen exzessiv beworben. Durch die Kombination von wissenschaftlich verbrämtem und moralisierendem Ansatz wird flächendeckend jede Art von Publikum erreicht.

Information und Wissen
Man sollte meinen, dass es für gebildete Menschen im Internetzeitalter ein Leichtes ist, sich umfassend und vielseitig zu informieren. Doch dem steht in vielen Fällen die feste Überzeugung im Wege, bereits genug zu wissen, gepaart mit Misstrauen gegenüber ausgewiesenen Fachleuten. Die Psychologie kennt sogar einen Namen für dieses Verhalten: den Dunning-Kruger-Effekt. Justin Kruger und David Dunning veröffentlichten 1999 eine Studie [3], nach der Menschen ein Fachgebiet und die Leistung der zugehörigen Experten umso schlechter einschätzen (können), je weniger sie selbst auf diesem Gebiet wissen. Dies geht einher mit der Überzeugung, persönlich überdurchschnittlich zum jeweiligen Thema Bescheid zu wissen und durch zusätzliche Informationen bestenfalls verwirrt oder gar betrogen zu werden. Mit anderen Worten: Man braucht Wissen, um das Wissen anderer beurteilen zu können. Verharrt man dagegen auf seinem niedrigen Informationsstand, wird einem das Wissensmanko gar nicht bewusst.

Nicht nur für die Landwirte stellt sich die Frage, wie man solche Mauern aus Ignoranz und Selbstgewissheit durchbrechen kann. Die Facebook-Seite von Quarks & Co. hat einen Weg dazu gezeigt: Nicht mit Wutausbrüchen, sondern mit beharrlicher Argumentation. Dazu gehört in der Regel ein Sisyphos-Gemüt. Man wird keinen prompten Schwenk in den Redaktionsstuben und schon gar nicht bei NGO-Hardlinern erreichen, aber Tausende Mitleser, bei denen neben den Weltretter-Parolen auch ein bisschen Fachwissen hängenbleibt – festgebissen in irgendeiner Ecke des Gehirns und darauf lauernd, bei der nächsten medialen Attacke ein paar kleine Zweifel an der eigenen Überzeugung und der Kompetenz der Sprücheklopfer zu säen.
Sabine Leopold (Agrarmanager)

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Objektivitität im Journalismus

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