Geschichte, Wein und Politik auf der Geistermühle

Erstellt am Donnerstag, 23. Dezember 2010 00:17

Landesgruppe Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland – Rheinhessen ist eine alte deutsche Kulturlandschaft. Von den Römern eingeführt, spielt der Weinbau in der Region eine herausragende Rolle. Es gibt nur wenige Ortschaften, die keinen Winzerbetrieb beherbergen. Mit rund 26.400 Hektar Rebfläche ist das Gebiet zwischen Mainz und Worms Deutschlands größte Weinanbauregion. Der Name Rheinhessen führt Viele in die Irre, denn es liegt in Rheinland-Pfalz.

Aber mit den Pfälzern habe man landsmannschaftlich nichts zu tun, stellte Jutta Zimlich-Müller bei einem Besuch der VDAJ-Landesgruppe Hessen, Rheinland-Pfalz klar. Vor der napoleonischen Zeit war die Region zwischen Bingen, Worms und Mainz sehr zersplittert. Der Name Rheinhessen rühre daher, dass das Gebiet auf dem Wiener Kongress mit Wirkung zum 8. Juli 1816 dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt zugeschlagen wurde. Somit konnte sich der Großherzog nun zu Hessen und bei Rhein nennen, womit der Begriff Rheinhessen geboren wurde. Auf dem Wiener Kongress wollte das Gebiet keiner haben, denn zu lange schon hatte die Region die freiheitliche Gesinnung Frankreichs genossen. Erst nach 1945 wurde Rheinhessen in das neu entstandene Rheinland-Pfalz eingegliedert.

Wasserrechte, Dungwirtschaft und Quecksilber
Jutta Zimlich-Müller und ihr Mann Hans-Wilhelm Müller betreiben einen Weinbaubetrieb in der Geistermühle bei Flonheim. Das Anwesen hat eine lange Geschichte. Seit 1355 besitzt die Mühle das Wasserrecht. Eine entscheidende Entwicklung nahm die Geistermühle nach der Übernahme durch eine mennonitische Familie, die ursprünglich aus der Schweiz stammte und 1732 die Mühle kaufte. Wie in Preußen und Nordhessen die Hugenotten, so brachten die Mennoniten in der Region viele Neuerungen. Unter anderem die Ablösung der Dreifelderwirtschaft durch die Dungwirtschaft, also Ackerbau kombiniert mit Stallhaltung des Viehs und der Verwendung des Dungs auf den Feldern, wie Jutta Zimlich-Müller erklärte.

Die Agraringenieurin erzählt von vielen Besonderheiten der Region. So wurde in der Gegend Quecksilber abgebaut. Und unter dem Kurfürsten Karl Theodor wurde die Anpflanzung von Maulbeerbäumen für die Seidenraupenzucht angeordnet. Um 1795 soll es weit mehr als 100.000 Maulbeerbäume gegeben haben. Beliebt war die Seidenraupenzucht bei den Bauern nicht, und nach dem Tod des Fürsten wurden die meisten Bäume gerodet. An der Einfahrt zur Geistermühle steht ein schönes Exemplar.

Rebfläche und Ackerland gemischt
Die Familie Zimlich-Müller bewirtschaftet 15 Hektar Rebfläche und 50 Hektar Ackerland. Die direkt vermarkteten Flaschenweine werden zum großen Teil mit dem Transporter in ganz Deutschland ausgeliefert. Angebaut werden die Rebsorten Riesling, Weiß- und Grauburgunder, Silvaner, Müller Thurgau, Würzer und rote Sorten wie St. Laurent, Portugieser, Spätburgunder und Dornfelder. Geerntet wird mit einem gezogenen Vollernter, der gerade in dem hügeligen Gelände gegenüber dem selbstfahrenden Vollernter seine Vorteile hat, sagt Hans-Wilhelm Müller. In diesem Jahr hatten die Winzer in der Region vor allem mit Peronospora (Falschem Mehltau) zu kämpfen. Diese Pilzkrankheit erkennt man am Schimmelrasen auf der Blattunterseite und an den hellen Flecken auf der Oberseite. Der Befall reduziert die Assimilationsfläche und führt deshalb zu Ertragsverlusten beziehungsweise zu einem Rückgang des Fruchtzuckers.

Wein und Bürokratie
Die Weinwirtschaft steht vor großen Veränderungen, die durch die EU-Weinmarktreform vorgegeben sind. Zwei wichtige Punkte sind das neue Bezeichnungsrecht sowie die Abschaffung der Pflanzrechte, eine Art Quotierung des Weinanbaus. Dazu berichtete Friedrich Ellerbrock, Geschäftsführer des Rheinhessischen Weinbauverbandes. Ellerbrock betreut rund 4.500 Mitglieder in 150 Ortsvereinen. Das komplizierte Weinrecht ist durch Europa-, Bundes- und Landesrecht geregelt. „Wer wissen will, was Bürokratie ist, muss sich mit dem Weinrecht befassen“, sagt Ellerbrock.

Im April 2008 hat der Ministerrat die neue EU-Weinmarktordnung verabschiedet. Das Bezeichnungsrecht wurde wegen der Anpassung an WTO-Vorgaben und an allgemeine Vorschriften für Lebensmittelkennzeichnung geändert. Statt der bisherigen Unterscheidung zwischen Tafelweinen und Qualitätsweinen bestimmter Anbaugebiete wird es künftig ab 2011 Weine mit und ohne geschützte Herkunftsangaben geben. Anstelle des Tafelweins tritt künftig Deutscher Wein mit Rebsorten- und Jahrgangsangabe.

Die Pflanzrechte sollen 2015 auslaufen mit der Option für die Mitgliedsländer, die Regelung nochmals um drei Jahre zu verlängern. Dies strebt Deutschland laut Ellerbrock an. Weinbau ist bislang nur auf weinbauwürdigen Flächen mit Pflanzrechten möglich. Letztere kann man pro Quadratmeter käuflich erwerben. Kauf, Verkauf und Besitz der Pflanzrechte werden streng dokumentiert. Den Abend eines interessanten Tages ließen die Agrarjournalisten mit einer Weinprobe und einem gemütlichem Beisammensein ausklingen, noch bevor die Geisterstunde angebrochen war.

Cornelius Mohr